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Christen im kommunistischen Weissrussland

Weissrussland gilt als letzte Diktatur Europas. Das Land ist international stark isoliert. Das kommunistische Gedankengut ist allgegenwärtig. Statuen von Lenin und Denkmäler von Panzern und Flugzeugen sind in jedem Dorf anzutreffen. Dennoch hat sich seit dem Ende der Sowjetunion etwas entscheidend geändert: Der Staat erlaubt die Religionsfreiheit. Kirchen sind in allen Städten und vielen Dörfern präsent. Ivo Schürmann, journalistischer Referent von «Kirche in Not (ACN)», bereiste Weissrussland im November 2014 im Rahmen einer Projektreise.

Von Ivo Schürmann

 

Von Weissrussland hört man in Europa wenig. Viele wissen nicht so genau, ob Weissrussland ein unabhängiger Staat oder eine russische Provinz ist. International Beachtung fand das Land im Mai 2014 durch die Austragung der Eishockey-Weltmeisterschaft.

 

Kirche in der letzten Diktatur Europas

 

In den rund 23 Jahren Unabhängigkeit haben die Kirchen ihre Position in der Gesellschaft festigen können. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung des Glaubens in der Sowjetunion füllten sich die Kirchen rasch wieder. Viele junge Männer entschlossen sich zum Theologiestudium und wirken heute als Priester in den vier weissrussischen Bistümern. Der Osten ist von der Geschichte her traditionell stark auf Russland ausgerichtet, weshalb die katholische Kirche dort weniger verankert ist. Der Einfluss Polens und Litauens auf den Westen Weissrusslands führt bis heute zu einer stark verbreiteten Frömmigkeit. Auch unter der Woche sind die Gottesdienste gut besucht.

Die Umstellung von der Planwirtschaft in die Marktwirtschaft wurde in Weissrussland nie vollzogen. So herrscht faktisch Vollbeschäftigung, wobei der Staat Einfluss nehmen kann, wo und was gearbeitet wird. Durch eine starke Land-Flucht wachsen die Städte, allen voran die Hauptstadt Minsk. Riesige Plattenbaukomplexe werden in kurzer Zeit erstellt. Die Menschen verlassen die ländlichen Gebiete, um dem harten Alltag des Landlebens zu entgehen. Dort müssen sie häufig in Kolchosen arbeiten und es gibt wenig Unterhaltung und Komfort. In den Städten gibt es attraktivere Arbeitsplätze und eine höhere Lebensqualität. Diese Entwicklung stellt auch die katholische Kirche vor neue Herausforderungen. Die Kirche muss dort präsent sein, wo die Menschen leben. In den nächsten Jahren plant die Kirche Dutzende neue Kirchengebäude in den neu erstellten Wohnbausiedlungen der Städte zu erstellen, um die Gläubigen auch weiterhin seelsorgerisch zu betreuen. Pfarrer Ian Kermis baut eine Kirche in der Hl. Geist-Pfarrei in einem Vorort von Minsk. Momentan wird an der Krypta gearbeitet, wo viele Handwerkerinnen tätig sind. Kein ungewöhnliches Bild für Weissrussland. Pfarrer Kermis erklärt die Umstände für die kirchlichen Neubauten: „In der Hauptstadt Minsk teilt Staatspräsident Alexander Lukaschenko den katholischen Pfarreien neue Grundstücke zu. Für die Erstellung neuer Kirchen und Pfarreigebäude gibt es aber keine staatliche Finanzhilfe. Die Kirche muss das Geld selbst aufbringen. Ich bin daher sehr froh, dass ausländische Hilfswerke den Bau der Hl. Geist-Kirche mittragen.“

 

Sperrgebiete im Schatten Tschernobyls

 

Der Atomreaktor von Tschernobyl liegt wenige Kilometer jenseits der weissrussisch-ukrainischen Grenze. Am Tag der Reaktorkatastrophe war die Windrichtung so, dass grosse Teile des radioaktiven Fallouts über Weissrussland niedergingen. Ein Fünftel des weissrussischen Territoriums wurde verseucht. Selbst heute – knapp 30 Jahre nach der Katastrophe – gibt es im Süden noch immer viele Sperrgebiete. Die zweitgrösste weissrussische Stadt, Homel, liegt im Südosten des Landes und war durch Tschernobyl betroffen. Da es ein wichtiger Industriestandort und Eisenbahnknotenpunkt ist, verzeichnete die Stadt in den letzten Jahren ein starkes Bevölkerungswachstum. Mittlerweile gibt es in der Stadt zwei katholische Pfarreien und weitere Kirchenbauten sind geplant. Auch Weihbischof Kazimierz Wielikosielec wirkt dort. Die Nähe zu Tschernobyl macht ihm nichts aus: „Im Alltag denke ich nicht an Tschernobyl. Die Seelsorge muss dort gemacht werden, wo die Leute leben und arbeiten. Wir Seelsorger und Ordensschwestern in Homel tun dies ohne Angst, aber mit grosser Hingabe und Gottvertrauen.“ In der Stadt wirken Benediktinerinnen, die einem Gemeinschaftsprojekt von Kirche und Staat, Behinderte betreuen. Mutter-Teresa-Schwestern kümmern sich um Obdachlose.

 

Spitzenposition beim Alkoholkonsum

 

Der Staat schätzt das soziale Engagement der Kirche. Mit knapp 16 Litern Alkohol pro Kopf hält Weissrussland die europäische Spitzenposition beim Alkoholkonsum. Zudem werden 7 von 10 Ehen aufgelöst und viele Frauen treiben ab, weshalb der Staat den Einsatz der katholischen in gesellschaftlichen Belangen begrüsst. Im Religionsunterricht und Einkehrwochen vermittelt die Kirche ein christliches Weltbild und versucht so Kinder und Jugendliche von den Ideen des Evangeliums zu überzeugen. Viele junge Erwachsene stammen aus zerrütteten Verhältnissen und sehnen sich nach Orientierung und Geborgenheit. Die grosse Nachfrage nach kirchlichen Angeboten und die zahlreichen Berufungen im Land zeugen davon, dass das Wort Gottes in Weissrussland auf fruchtbaren Boden trifft.

 

«Kirche in Not (ACN)» unterstützt vor allem Kirchenbauten, kirchliche Sozialprojekte und Fahrzeughilfen in Weissrussland mit rund CHF 500‘000 jährlich.

Fotos:

  1. Pfarrer Ian Kermis mit Bauarbeitern in der Krypta der Kirche Hl. Geist, Minsk, Weissrussland (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)
  2. Typisch für Weissrussland: Kirche und sozialistisches Denkmal (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)
  3. Eine Kirche im Rohbau in einer Neubausiedlung in der Stadt Pinsk, Weissrussland (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)
  4. Frauen bei der Arbeit in Vitebsk, Weissrussland (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)
  5. Eine Mutter-Teresa-Schwester in Gomel, Weissrussland (Bild: «Kirche in Not (ACN)»)